Los 55 aus unserer Herbstauktion am 25. Oktober 2025
Bildnis Annemarie. Öl auf Schichtholz. 1933. 95 x 68,5 cm. Gerahmt.
Betitelt (unleserlich). Verso weiteres vollwertiges Ölgemälde: Peter Paul Diehn mit Katze, um 1931/32. Dort signiert, datiert (1933) u. mit der Adresse der Künstlerin sowie einer Widmung versehen.
Provenienz: Nachlass Lothar Bolz, Berlin; Privatsammlung Nordrhein-Westfalen. – Ausgestellt und abgebildet in: Kate Diehn-Bitt. Gemälde und Zeichnungen aus einer Berliner Privatsammlung. Schwerin, Staatliches Museum, 1981, Katalog-Nr. G 6, S. 10 (Vorderseite) sowie in: Kate Diehn-Bitt. 1900-1978. Leben und Werk. Rostock, Kunsthalle u.a., 2002, Katalog-Nr. 23, Abb. 85, S. 73 und Katalog-Nr. 8, Abb. 45, S. 37 (Vorder- und Rückseite).
Auch wenn die doppelseitige Bemalung des Bildträgers im Oeuvre Diehn-Bitts keine Ausnahme darstellt, bleibt offen, ob die motivische Paarung in vorliegendem Gemälde durch Zufall oder aufgrund der familiären Bindung zu den Dargestellten entstand. Dennoch scheint eine gewisse “Interaktion” zwischen Vorder- und Rückseite, Frauen- und Männerbildnis, der Schwester und dem Ehemann der Künstlerin offenkundig. Beide Figuren heben sich in der Diehn-Bitt eigenen glatt-kühlen Malweise, in einen orbikularen Lichtschein gehüllt, vom Dunkel des Hintergrundes ab. Wie eine Art Gegenpol zum “weicheren” und leicht entrückten früheren Männerbildnis ist “Annemarie” als moderne, emanzipierte Frau dargestellt: kurzhaarig, schlicht, selbstbewusst. Die Pose mit verschränkten Armen, der aufmerksame, leicht distanzierte Blick und die dezente Kleidung spiegeln nicht nur eine individuelle Persönlichkeit wider, sondern auch ein neues weibliches Selbstverständnis, das geprägt ist vom Wandel der 1920er Jahre. Frauen traten in dieser Zeit zunehmend als berufstätige, gebildete und politisch denkende Akteurinnen des öffentlichen Lebens auf. Dieses Rollenbild findet in Annemarie eine prägnante Verkörperung.
Formal knüpft Diehn-Bitt an die nüchterne Klarheit und Sachlichkeit an, wie sie etwa bei Künstlern wie Lotte Laserstein oder Christian Schad zu finden ist. Die Komposition ist spannungsvoll, aber zurückhaltend. Der Hintergrund bleibt neutral, beinahe leer und bildet keine Ablenkung vom Gegenstand der Betrachtung. Die Lichtführung modelliert das Gesicht präzise, ohne es zu idealisieren, die Farbgebung ist gedämpft. Diese Reduktion auf das Wesentliche ist kein Mangel an Ausdruck, sondern Ausdruck einer neuen Haltung: Der Mensch soll in seiner individuellen Realität sichtbar werden.
Auch in ihrer Wahl des Sujets reiht sich Diehn-Bitt in die gesellschaftsbezogene Richtung der Neuen Sachlichkeit ein. Während viele männliche Kollegen der Bewegung auf die Zerrissenheit der Zeit mit karikierender Zuspitzung reagierten (z.B. George Grosz oder Otto Dix), verfolgte Diehn-Bitt einen stilleren, aber nicht weniger eindringlichen Weg: das Porträt als Reflexion eines Milieus, einer Haltung, eines gesellschaftlichen Umbruchs. “Bildnis Annemarie” zeigt die gesellschaftliche Modernisierung nicht als Aufbruchseuphorie, sondern als konzentrierte Selbstbehauptung im Angesicht wachsender Unsicherheit.
Schätzpreis: 35.000 €
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