Los 218 aus unserer Herbstauktion am 25. Oktober 2025
o.T. (Abstrakte Komposition). Öl auf Leinwand. 1916. 52,5 x 70 cm. Gerahmt.
Verso weiteres vollwertiges Ölgemälde “o.T. (Stilleben)” von 1924, dort signiert.
Droste M 34 (Vorderseite) und M 93 (Rückseite) – Provenienz: Sammlung Ludwig Steinfeld, Schlüchtern; Ubu Gallery, New York; Privatsammlung Europa; Privatsammlung Hessen. – Ausgestellt und abgebildet in: Georg Muche. Sturm und Bauhauszeit. Das künstlerische Werk 1912-1927. Berlin, Bauhaus-Archiv, 1980/81, S. 89 und 118 sowie abgebildet in: Hans M. Wingler, Das Bauhaus 1919-1933. Weimar, Dessau, Berlin. Köln 1962, S. 240 (Rückseite); Hans M. Wingler, Das Bauhaus 1919-1933. Weimar, Dessau, Berlin und die Nachfolge in Chicago seit 1937, Köln 1968/75, S. 260 (Rückseite).
In einer Zeit gesellschaftlicher und politischer Umbrüche suchte Georg Muche nach neuen Ausdrucksformen jenseits der gegenständlichen Darstellung. 1916 war er Mitglied der Künstlergruppe um die Galerie “Der Sturm” von Herwarth Walden in Berlin. In diesem experimentellen Umfeld, das unter dem Einfluss des Expressionismus und des Futurismus stand, entwickelte er eine Bildsprache, die sowohl vom musikalischen als auch vom spirituellen Denken inspiriert war. So wird die Vorderseite unserer beidseitig bemalten Leinwand von intensiven Farbverläufen und dynamischen Formen durchzogen. Vertikale Linien, scharfkantige Flächen und weich verschwimmende Farbzonen in leuchtendem Rot, Grün, Gelb und Blau überlagern sich und erzeugen eine Spannung, die sowohl zwischen Bewegung und Ruhe als auch zwischen Struktur und Auflösung schwingt. In einer Phase des Umbruchs, in der sich viele Künstler von der sichtbaren Realität abwandten, um neue geistige Ordnungen zu erkunden, lässt sich unsere Komposition von 1916 als ein visuelles Echo auf die Krisenzeit des Ersten Weltkriegs verstehen.
Seit 1919 lehrte Muche am Staatlichen Bauhaus in Weimar. Ein markantes Beispiel für die gestalterische Klarheit und konstruktive Strenge, die diese einflussreiche Kunstschule in den 1920er Jahren prägten, ist das Stilleben auf der Rückseite unserer Leinwand. Trotz seiner Gegenständlichkeit – ein Tisch mit Gläsern und einer Kanne vor einem Fenster – ist die Darstellung von klaren geometrischen Formen bestimmt. Die Objekte sind reduziert, fragmentiert und überlagert, die Perspektive bewusst gebrochen. Besonders auffällig ist der differenzierte Einsatz pastoser Farbflächen, wie auf der Kanne, die mit den glatten Bereichen des Hintergrunds kontrastieren.
Beide Seiten unseres Gemäldes veranschaulichen so auf eindrucksvolle Weise die künstlerische Entwicklung Georg Muches. Vom visionären Ausdruck der frühen Abstraktion bis hin zur disziplinierten Formensprache der Bauhaus-Moderne zeugt es von einem Künstler, der die stilistischen Umbrüche seiner Zeit nicht nur begleitete, sondern auch mitgestaltete und dabei ein Werk hinterließ, das bis heute durch seine Tiefe, Vielfalt und gestalterische Kraft beeindruckt.
Schätzpreis: 50.000 €
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